CFP: Zehnjähriges Jubiläum der "transparenten Gesellschaft"

Vor einem Jahrzehnt verfasste der Futurologe David Brin sein Buch über die digitale Durchsichtigkeit und das Ende der Privatsphäre. Experten stellten die Thesen des oft mit Orwells "1984" verglichenen Werks auf den Prüfstand.

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Vor einem Jahrzehnt verfasste der Futurologe David Brin sein Sachbuch über die "transparente Gesellschaft". Experten stellten die Thesen des oft mit George Orwells "1984" verglichenen Werks rund um die digitale Durchsichtigkeit und das Ende der Privatsphäre nun während der Konferenz "Computers, Freedom, and Privacy 2008" (CFP) in New Haven (US-Bundesstaat Connecticut) auf den Prüfstand. Teils lobten sie dabei die Weitsicht des Autors, der den Versuch der Kontrolle personenbezogener Daten in der vernetzten Welt als Idee von gestern abtat und Privatheit als reine Geschmacksnote und soziale Erwartung charakterisiert hat. Teils warfen sie Brin aber auch eine Vermischung verschiedener Vorstellungen von Transparenz vor und verteidigten das Konzept des Datenschutzes.

Daniel Weitzner, medienpolitischer Berater des US-Präsidentschaftsanwärters Barack Obama, liebäugelte mit den Gedanken Brins. "Wir müssen den Gedanken an einen guten Schutz der Privatsphäre aufgeben", überraschte der Computerwissenschaftler mit einer für das Lager der Demokraten so nicht unbedingt zu erwartenden Ansicht. Vor allem das Schulterklopfen der Europäer beim Datenschutz zeuge mehr von Selbstbeweihräucherung als von echten Erfolgen bei der Wahrung der Privatsphäre. Versuche zur Geheimhaltung von Informationen erkläre Weitzner zugleich generell als zum Scheitern verurteilt. "Wir müssen neue Jobs für Kryptographen finden", meinte er. Deren Verschlüsselungswerkzeuge "haben uns in die falsche Richtung geführt". Als Regulierungsansatz lobte er ein US-Gesetz, das Auskunfteien die Offenlegung der bei der Bonitätsprüfung herangezogenen Kriterien vorschreibe.

Dagegen arbeitete Stephanie Perrin, ehemalige Mitarbeiterin des kanadischen Datenschutzbeauftragten, unterschiedliche Formen und Werthaltigkeiten von Transparenz heraus, je nachdem, ob sich diese etwa auf Menschen, Regierungen oder Unternehmen beziehe. Die beiden Letztgenannten müssten tatsächlich verpflichtet werden, den Leuten Auskunft über die Verwendung ihrer Daten zu geben. Beim Datenschutz gehe es generell nicht um Geheimhaltung, sondern um die Kontrolle und die Handhabung von Informationen über andere gesellschaftliche Einheiten. Das entsprechende Konzept sei noch nicht ausgereift, befinde sich in den USA in der Version 1.0, in Europa in den Ausgaben 2.0 oder 3.0. Die Privatsphäre gehe darüber hinaus und sei für Menschen unabdingbar für ihre Entwicklung und das Ausleben von Intimität in speziellen Beziehungen.

Für einen Mittelweg bei der Einschätzung der Vorhersagen Brins machte sich Alan Davidson, Leiter des Lobbybüros von Google in Washington, stark. Sein Arbeitgeber habe keine allgemeine Haltung zu diesem Thema, schickte er seinen Ausführungen voraus. Er persönlich sei der Meinung, dass einige der in der "transparenten Gesellschaft" beschriebenen Werkzeuge "real sind und von uns genutzt werden". Der Interessenvertreter des Suchmaschinenprimus verwies etwa auf die Applikation Google Earth, die allen Internetnutzern Satellitenbilder verfügbar mache, die lange Zeit nur Regierungen und Militärs oder aber für einen vergleichsweise hohen Preis zugänglich gewesen seien. Damit würden Machtverhältnisse verändert. Es sei aber kaum vorstellbar, Transparenz als allein selig machend aufzufassen.

Der über eine ständig zusammenbrechende Skype-Verbindung und letztlich nur noch per Mobiltelefon zugeschaltete Autor des umstrittenen Buchs selbst sprach von einem davon ausgegangenen Weckruf. Man könne weder den "Big Brother"-Staat noch seine kleinen Geschwister in der Wirtschaft davon abhalten, immer weiter Daten über die Bürger zu sammeln. Wichtig sei aber, die Informationsjäger dafür verantwortlich und ihre Datenbanken öffentlich zu machen. Es müsse ihm erst noch vorgerechnet werden, welcher Wert dem Durchschnitts-Europäer aus den auf dem alten Kontinent für Datenschutz ausgegebenen Milliarden Euros erwachse, sagte Brin. Es gebe kein Beispiel dafür, dass ein von oben verordneter Versuch zur Bewahrung der Privatsphäre in den vergangenen 15 Jahren erfolgreich gewesen sei.

Jack M. Balkin, Verfassungsrechtler an der Yale Law School in New Haven, bezeichnete den Transparenzansatz Brins dagegen als naiv. "Die Überwacher überwachen" und die Bürger selbst mit Kameras auszurüsten sei zwar theoretisch ein griffiger Slogan. Dadurch käme es aber zu immer mehr Eingriffen in die Privatsphäre. Die Aufnahmen der Überwachungskameras der Polizei würden derweil weiter allein von der Regierung kontrolliert. Es bräuchte daher weiterreichende Instrumente für die Bürger, um der Staatsmacht auf die Finger zu schauen. Balkin selbst ist ein entschiedener Kritiker der US-Politik nach dem 11. September 2001. Ihm zufolge werden die Formen der Überwachung durch die Regierung "langsam, heimlich und kaum wahrnehmbar von den Methoden der politischen Kontrolle und Zurechenbarkeit losgelöst" in einem Klima von Propaganda, Angst, Ignoranz und Apathie. (Stefan Krempl) / (pmz)