Amazon bereitet angeblich Musik-Streaming 2. Klasse vor

Amazon bringt laut einem Bericht schon im Juni oder Juli einen Musik-Streamingdienst für US-Kunden. Zu hören wird es aber nur ausgewählte Musik geben, die zudem mindestens sechs Monate alt ist.

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Im Juni oder Juli wird sich auch Amazon zu den Musikstreaming-Anbietern gesellen, berichtet BuzzFeed. Das neue Angebot soll Teil des Prime-Pakets in den USA werden. Im Unterschied zu den etablierten Streamingdiensten strebt Amazon aber nicht nach einem möglichst umfassenden Katalog an Musik(videos) an, sondern wird "ausgewähltes" Material streamen. Zudem bleibt grundsätzlich ausgenommen, was weniger als sechs Monate auf dem Markt ist.

"Who that, who that, I-G-G-Y" Spärlich bekleidete Rapperinnen führen gegenwärtig die Billboard-Streaming-Hitprarade an: Iggy Azalea (rechts) feat. Charli XCX - "Fancy".

(Bild: thenewclassic )

Diese Struktur dürfte für Amazon und die Rechteinhaber zwei Vorteile haben: Günstigere Lizenzen und eine geringere Kannibalisierung des bestehenden Musikverkaufs. Für die Zusammenstellung des Streaming-Katalogs wird Amazon nämlich auf die Daten aus dem eigenen Verkauf zurückgreifen. Es liegt Nahe, dass Amazon den größten Teil seines bisherigen Musikumsatzes mit aktuellen Veröffentlichungen sowie einigen Evergreens macht. Diese Musik den besten Kunden ohne Aufpreis zu streamen könnte den Verkauf beeinträchtigen, woran weder Amazon noch die Rechteinhaber Interesse haben. Weniger umsatzträchtige Lieder zu streamen könnte die Kunden aber auf den Geschmack bringen und so den Verkaufsumsatz von Musikdateien oder -tonträgern ankurbeln.

Laut BuzzFeed haben die großen Label Sony Music und Warner Music einen deutlichen Rabatt gewährt. Ob auch das dritte Major Label, Universal Music, mit von der Partie ist, weiß BuzzFeed nicht. Der nicht näher beschrieben Rabatt könnte den Gesamtpreis und/oder die üblicherweise signifikanten Vorauszahlungen betreffen. Auch wird Amazon wohl keine eigenen Aktien übertragen müssen, wozu kleinere Startups meist gezwungen werden.

Mit den kleineren Labels ("Independents") hat Amazon wahrscheinlich nicht verhandelt, sondern ihnen einen fertigen Vertrag zur Unterschrift vorgelegt – zumindest bei den Musikverlegern dürfte es so gelaufen sein. Digital Music News hat im April die ersten beiden Seiten eines solchen Angebots veröffentlicht, das Amazon den kleineren Verlegern übermittelt hat.

Daraus geht hervor, dass für die Rechte der Verleger (und damit der Komponisten und Textautoren) 32 Prozent jener Summe vorgesehen sind, die Amazon an die Plattenlabel zahlt: 21 Prozent für die Vervielfältigung (Mechanicals) und elf Prozent für die öffentliche Wiedergabe. Konkrete Beträge werden nicht genannt.

Die monatliche Gesamtausschüttung wird durch die Zahl aller gestreamten Stücke geteilt und dann anteilig an die Rechteinhaber aufgeteilt. Der gesamte Kuchen wird also nicht größer, wenn mehr Musik gestreamt wird; vielmehr verringert sich die Ausschüttung pro Wiedergabe. Solche Verträge sind im Streamingmarkt üblich.

Amazon will sein Angebot wohl weiter ausbauen.

(Bild: dpa, Dan Levine)

Der veröffentlichte Vertragstext gewährt Amazon auch das Recht, auf Lizenzen von Verwertungsgesellschaften zurückzugreifen. Amazon kann sich also stets den günstigeren Weg aussuchen. Für zwei bestimmte Nutzungsarten bekommen die Rechteinhaber gar nichts: Das Anspielen von Musikstücken bis zu eineinhalb Minuten ("Promotional Excerpt") ist für Amazon ebenso gebührenfrei, wie das komplette Abspielen eines Stücks im Rahmen der Produktwerbung ("Promotional Full-Length Stream"). Die lizenzgebührenfreie Wiedergabe in voller Länge soll pro Kunde und Musikstück aber nur einmal funktionieren. Das möchte Amazon durch Cookies oder "ähnliche Techniken" sicherstellen.

Die Verleger müssen auch Metadaten übermitteln, auf deren Basis Amazon die Abrechnung durchführt. Die vorgesehene Lizenz gilt zwar nur für die USA und ihre Außenterritorien; es darf Amazon aber ausdrücklich nicht als Lizenzverletzung angekreidet werden, falls sich ein Endkunde von anderswo Zugriff verschafft. Überdies sichert sich Amazon das Recht, den Kunden "begrenzte Downloads" zu gestattet. Was das im Details bedeutet erschließt sich aus den beiden Textseiten nicht.

Aus juristischer Sicht müssen die kleineren Verleger und Label den angebotenen Vertrag natürlich nicht unterschreiben. Aber sie könnten sich faktisch dazu gezwungen sehen, wenn die Erfahrungen der Buchverlage ein Exempel sein sollen. Als Druckmittel in Verhandlungen über Ebook-Rabatte liefert Amazon Bücher der betroffenen Verlage nämlich später aus, erhöht die Preise für Endkunden oder nimmt die Bücher zeitweise aus dem Sortiment. Selbst wenn Amazon keinen Druck ausüben sollte, stehen die Rechteinhaber vor der Entscheidung, am Streamingdienst ein bisschen etwas zu verdienen, oder leer auszugehen.

Im Februar hatte Recode von Vorbereitungen Amazons für einen Streamingdienst berichtet. Im März erhöhte Amazon den US-Preis des Prime-Pakets von 79 auf 99 US-Dollar pro Jahr. Prime bringt den Abonnenten gebührenfreie Zustellung innerhalb zweier Werktage, die Ausleihe bestimmter E-Books für Kindle-Geräte sowie Videostreams. (ds)